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14Feb2018

Verfassungsbeschwerde zur Zulässigkeit von körperlicher Gewaltanwendung gegen Kinder bei der Durchsetzung eines Sorgerechtsbeschlusses eingereicht.

Von: Pajam Rokni-Yazdi
Wir haben im Namen eines Verfahrensbeistands und einer Kindesmutter Verfassungsbeschwerde erhoben. Wir mussten uns dabei mit der Frage auseinanderzusetzen, unter welchen Voraussetzungen es rechtlich zulässig ist, den Aufenthaltswechsel eines Kindes von einem Elternteil zum anderen durch gerichtlichen Beschluss zu beschließen und zur Durchsetzung einer solchen Entscheidung staatliche Gewalt gegen die betroffenen Kinder anzuwenden.

Der Fall spielt in einer Kleinstadt. Die Eltern trennen sich im Oktober 2013. Der Vater zieht aus und verlässt für einige Monate die Stadt. Er hat gelegentlich Umgang mit seinen beiden Töchtern, heute im Alter von 9 und 12 Jahren. Im weiteren Verlauf des Scheidungsverfahrens kommt es zu erheblichen finanziellen Streitigkeiten zwischen den Eltern. Auch die Umgänge werden schwieriger. Der Vater stellt im Januar 2014 einen Antrag auf Umgang mit seinen Kindern. Im weiteren Verlauf erweitert er diesen Antrag und begehrt das alleinige Sorgerecht für die beiden Mädchen, er meint, dass diese bei ihm besser aufgehoben seien. Es kommt zu unterschiedlichen Vorkommnissen die wie so häufig in hochkonflikthaften Scheidungsverfahren von den Eltern unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Das Gericht sieht sich veranlasste in Sachverständigengutachten einzuholen. An diesem wirken sowohl die Eltern als auch die Kinder mit. Die Kinder sprechen sich dafür aus, bei der Mutter leben zu dürfen und begründen dies unter anderem mit negativen Erlebnissen, die sie mit dem Vater gemacht haben. Aus den genannten Gründen lehnen sie auch Umgänge mit dem Vater ab. Hilfsangebote des Jugendamtes in Bezug auf den Umgang sind zwischenzeitlich aufgrund der Verweigerungshaltung der Kinder gescheitert. Weitere Angebote werden mangels Erfolgsaussichten nicht angeboten. Das Amtsgericht entschied daraufhin, dass die Kinder bei der Mutter bleiben und Umgänge zunächst ausgesetzt werden. Darauf erhob der Vater Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht. Das dortige Beschwerdeverfahren dauerte mehr als 20 Monate. Im Rahmen des Verfahrens regte das Gericht die Einholung eines lösungsorientierten Gutachtens mit dem Ziel der Wideranbahnung von Umgängen an. Die Eltern erklärten sich zunächst damit einverstanden. Das Gericht beauftragte einen Sachverständigen. Die Kindesmutter erklärt umgehend, dass sie diesen Sachverständigen ablehne. Dies begründete sie damit, dass der Sachverständige aus ihrer Sicht dafür bekannt sei, dass er zumeist auf Seiten der Väter stehe, bzw. in Fällen von Umgangsverweigerung dazu neige gegenüber Gerichten anzuregen, Kinder in eine Einrichtung auf einer Nordseeinsel zu verbringen. Im weiteren Verfahrensverlauf kam es auf Einwilligung der Kindesmutter doch zu einem Treffen mit dem Sachverständigen und den Kindern. Der Ablauf dieses Gesprächs, bei dem auch die beiden Kinder anwesend waren, worden vom Sachverständigen und der Kindemutter unterschiedlich geschildert. Der Sachverständige behauptete, dass aufgrund des ablehnenden Verhaltens der Kinder gegenüber dem Vater eine Kindeswohlgefährdung vorliege. Im weiteren Verlauf wurde des Sachverständige entpflichtet. Das Gericht entschied sich sodann für einen anderen Sachverständigen. Auch hier lehnte die Kindesmutter eine Begutachtung ab. Der Sachverständige wurde aber durch das Gericht ohne Ankündigung zur mündlichen Verhandlung geladen, um die Kindesmutter begutachten zu können. Die Kindesmutter erklärt erneut, sich nicht begutachten lassen zu wollen. Im weiteren Verlauf forderte das Gericht den Sachverständigen auf, die Mutter weiter zu begutachten, allerding ohne mit ihr zu sprechen und nach Aktenlage zu entscheiden. Ohne das Wissen der Kindesmutter wurden zudem mehrere Jahre alte Krankenunterlagen über die Mutter durch den Kindesvater zur Verfügung gestellt, die der Sachverständige nutzte. Auch wurde ein zwischenzeitlich erwachsener Sohn der Kindesmutter durch den Sachverständigen auf Verlangen des Gerichts befragt. Dabei wurde der Sohn über seine Rechte, die Auskunft zu verweigern nicht belehrt. Der Sachverständige kam letztlich zu dem Ergebnis, dass die Kindesmutter entweder an ADHS im Erwachsenenalter leide oder bei ihr eine Persönlichkeitsstörung vorliege. Als Konsequenz müssten die beiden mittlerweile 9 und 12 Jahre alten Geschwister zum Vater wechseln. Der ausdrücklich entgegenstehende Wille der Kinder, der Abbruch der sozialen Kontakte, der Schulwechsel und der Umstand, dass die Kinder die neue Lebensgefährtin des Vaters nicht kennen spiele dabei keine Rolle. Dies sei alles hinzunehmen. Verfahrensbeistand als auch Jugendamt traten diese Auffassung entgegen. Nach ihrer Ansicht seien die Kinder sehr gut integriert, zeigten auf dem Gymnasium gute Leistungen und hätten ein gutes Verhältnis zum jetzigen Ehemann der Kindesmutter aufgebaut. Man könne sich nicht vorstellen, die Kinder gegen ihren erklärten Willen zum Vater zu verbringen. Das OLG überging diese Ansichten und folgte den Ausführungen des Sachverständigen. Es übertrug das Sorgerecht allein auf den Kindesvater. Sowohl das Sachverständigengutachten als auch der Beschluss des OLG lesen sich aus meiner Sicht wie eine Bestrafungsaktion gegen die Mutter. Da der Beschluss des OLG keine Herausgabeanordnung beinhaltete wendete sich der Vater umgehend an das zuständige Amtsgericht, welches ohne Anhörung der Kindesmutter und der Kinder die Herausgabe der Kinder anordnete. Das Gericht ordnete dabei auch an, dass im Rahmen der Vollstreckung Gewalt gegen die Kinder angewendet werden dürfte. In dieser Situation erfolgte meine Beauftragung. Umgehend wurde nach Anforderung sämtlicher Akten gegenüber dem OLG eine Gehörsrüge erhoben. Beim Amtsgericht wurde zeitgleich Antrag auf mündliche Verhandlung und Aussetzung der Vollstreckung gegen die Kinder gestellt. Letzteren Antrag lehnte das Gericht ab und bestimmte einen Termin zur mündlichen Verhandlung, der ca. drei Wochen später stattfinden sollte. Für die Kinder bestand nunmehr die Gefahr, dass sie bei einem Schulbesuch durch den Gerichtsvollzieher und die Polizei aufgegriffen und für den Fall der angekündigten Verweigerung mit Gewalt zum Vater verbracht werden würden. Ich entschloss mich also, mit der Mandantin und den Kindern unangekündigt im Gericht zu erscheinen, um unter Anhörung der Kinder einen erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu stellen. Die zuständige Richterin lies eine neu bestellte Verfahrensbeiständin erscheinen und hörte in ihrem Beisein die Kinder an. Auch das nunmehr zuständige Jugendamt wurde herbeigerufen. Auch der Gerichtsvollzieher erschien. Zunächst wurde der Vorschlag der neuen Verfahrensbeiständin diskutiert, die Kinder übergangsweise in ein Heim einzuweisen, damit diese bis zur mündlichen Verhandlung weiter zur Schule gehen könnten. Diesem Vorschlag, konnten wir nicht entsprechen, weil nach meiner Rechtsauffassung dies einzig eine Bestrafung der Kinder darstellt. Das Gericht blieb bei seiner Auffassung und fordert den Gerichtsvollzieher auf, die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Hintergrund war, dass man sich davon überzeugen wollte, ob sich die Kinder tatsächlich weigern. Der Gerichtsvollzieher ging daraufhin zu den Kindern und sagte ihnen, dass sie nun mitkommen müssten und er sie zum Vater bringen werde. Die Kinder entgegneten ihm mit verschränken Armen, dass sie nicht mitkommen werden. Sie wollen bei der Mutter bleiben. Auf nochmalige Nachfrage bekräftigten sie diese Auffassung. Der Gerichtsvollzieher kam zu dem Ergebnis, dass der Wille der Kinder unumstößlich sei und er die Zwangsvollstreckung vorläufig einstellen werde. Es wurde ein Gerichtsvollzieherprotokoll erstellt und der Richterin, die in ihrem Dienstzimmer gewartete hatte, übergeben. Mutter und Kinder konnten das Gericht anschließend ungehindert verlassen. Die Kinder gehen seither wieder in die Schule. Gegen die Kindesmutter läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Kindesentziehung. In zwei Wochen wird vor dem Amtsgericht über den Herausgabeantrag mündlich erneut verhandelt. Möglich, dass es dann erneut zum unmittelbaren Einsatz des Gerichtsvollziehers und dann zur gewaltsamen Durchsetzung des Beschlusses kommt. Wir werden jedoch bis dahin Verfassungsbeschwerde erheben und hegen Hoffung, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Vollziehung zunächst stoppt und überprüft, ob die Entscheidung des OLG tatsächlich mit unserem Grundgesetz in Einklang steht. Ich jedenfalls bin der festen Überzeugung, dass Schluss damit sein muss Sorgerechtsentscheidungen gegen den Willen eines Kindes umzusetzen und es wie einen Sack Kartoffeln von jetzt auf gleich einfach um zu platzieren. Ich halte dieses Vorgehen für eine massive Verletzung von kindlichen Rechten, die im FamFG leider viel zu kurz kommen. Interessiert sind viele Verfahrensbeteiligten eigentlich immer nur daran, die Rechte der Eltern durchzusetzen und dass immer im Namen des Kindeswohls. Einschneidende Reformen wären notwendig, um die Misstände im familiengerichtlichen Verfahren endlich zu beseitigen.

Schlagworte zu diesem Artikel

Sorgerecht, Umgangsausschluss, Umgangsrecht, Umgangsverweigerung, Sachverständigengutachten, Zwangsvollstreckung, Herausgabeanordnung

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