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11Sep2018

Vom Wechselmodell zum Residenzmodell

Von: Pajam Rokni-Yazdi
Als Rechtsanwalt für Scheidung, Sorgerecht und Umgangsrecht aus Hannover stelle ich fest, dass das Wechselmodell in aller Munde ist und von vielen als Modell der Zukunft gesehen wird. Fragwürdig erscheint jedoch, ob diese Modell auch generell im Sinne der betroffenen Kinder ist, oder ob es nicht in erster Linie zur Durchsetzung von Elternrechten dient. In unserem aktuellen Fall jedenfalls äußerte das Kind Vorbehalte, weil es aus seiner Sicht kein richtiges Zuhause wie andere Kinder habe. Aber auch andere Aspekte führten vorliegend dazu, dass das Wechselmodell dem Residenzmodell weichen musste. Die Gründe sind auf eine Vielzahl von sorgerechtlichen Verfahren übertragbar.

Es wurde ein fast paritätisches Wechselmodell gelebt. Das betroffenen Kind steht vor dem Wechsel in die weiterführende Schule. Das von uns vertretene Elternteil berichtet, dass der andere Elternteil, welcher neu verheiratet ist, plant, in einen etwa 25 Kilometer entfernten Ort umzuziehen, weil man dort ein Haus baue. Aufgrund der großzügigeren räumlichen Gegebenheiten reagiere man mit dem Umzug auch auf die Bedürfnisse des jetzt knapp zweijährigen Halbgeschwisterkindes. Das gemeinsame Kind solle dort die Schule besuchen, man begehre insoweit die Zustimmung zum Umzug und zum Schulwechsel. Wir rieten zunächst zur Durchführung einer Mediation, die allerdings nach nur zwei Sitzungen an den verhärteten Positionen den Eltern scheiterte. Der eine Elternteil stellte trotz des großen Altersunterschieds auf die Geschwisterbindung ab und verwies darauf, dass die emotionale Bindung zum Kind sowie die zeitlichen Ressourcen berufsbeding tragfähiger seinen, als beim anderen Elternteil. Das von uns vertretene Elternteil verwies auf den Kindeswillen. Das Kind wolle unbedingt am bisherigen Wohnort mit seinen Freunden auf die fußläufig zu erreichende weiterführende Schule gehen. Im Übrigen sei es im Interesse des Kindes die vielfältigen Hobbys am bisherigen Wohnort fortzuführen, was bei einem Umzug nicht oder nur unter erheblichem Aufwand möglich wäre. Die Zustimmung wurde daher auf unser Anraten verweigert.

In dem folgenden gerichtlichen Verfahren sahen wir uns veranlasst, dem Antrag der Gegenseite mit einem eigenen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts entgegen zu treten. Schnell wurde klar, dass bei beiden Eltern nahezu gleichwertige Erziehungsvoraussetzungen zu finden waren. Für die Prognoseentscheidung des § 1671 BGB zur Übertragung des Aufenthaltsbetimmungsrecht auf ein Elternteil waren daher, wie so oft, nur Kleinigkeiten ausschlaggebend.

Aufgrund der eindeutigen Aussagen des Kindes am bisherigen Ort verbleiben zu wollen, entschied das Amtsgericht zugunsten des am Wohnort verbleibenden Elternteils. Auch das OLG blieb im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach erneuter Anhörung des Kindes bei dieser Entscheidung. Ausschlaggebend waren insbesondere der nachhaltig erklärte Kindeswille sowie der Gesichtspunkt der Kontinuität der Lebensverhältnisse. Diese seien insbesondere vor dem Hintergrund des Wechsels auf die weiterführende Schule besonders wichtig, auch wenn man konstatieren muss, dass eine Lebensveränderung für Kinder unter Umständen auch entwicklungsfördernd sein kann.

Dieses Verfahren zeigt, wie wichtig es im Vorfeld der Planung eines Wohnortswechsels ist, sich Gedanken dazu zu machen, wie der andere Elternteil und das betroffene Kind diesen Wunsch aufnehmen werden und wie sich dieser unter die gesetzlichen Voraussetzungen zum Sorgerecht subsumieren lässt. Nur bei gründlicher Planung bleibt man vor unerwünschten Entscheidungen, wie hier der Halbgeschwistertrennung verschont. Oft entscheiden in solchen Verfahren nur Kleinigkeiten über Erfolg und Misserfolg. Insbesondere weil die Verfahrensbeteiligten in sorgerechtlichen Verfahren oft unterschiedlicher Meinung darüber sind, was für ein Kind das „Beste“ ist und dabei selbstverständlich von der eigenen Lebenserfahrung geprägt werden, die bekanntermaßen sehr unterschiedlich sein können. Drum sollte jede Einleitung eines familiengerichtlichen Verfahrens gut überlegt sein.

Schlagworte zu diesem Artikel

Kindeswille, Sorgerecht, Umgangsrecht, Wechselmodell

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